Verweilen + Genesen Thomas Vinson
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunst im Uniklinikum Gießen,
nach langer, Pandemie bedingter Verzögerung ist jetzt die Ausstellung Verweilen + Genesen
von Thomas Vinson im Kapellengang installiert. Vinson musste sich aufgrund der durch die
Pandemie notwendig gewordenen Zutrittsbeschränkung zum Klinikum von seiner ersten Idee,
sich mit der Architektur des Klinikums zu beschäftigen verabschieden. Dennoch hielt er an
seinem Grundsatz, sich mit seinen Ausstellungen auf die besonderen Bedingungen des Ortes
einzulassen, fest. Er suchte nach Wegen, mit seiner Kunst neue Sichtweisen auf das Klinikum
zu ermöglichen.
Die Ausstellung ist das Resultat eines Prozesses, in dem Thomas Vinson Materialien und
Themen des Klinikalltags aufgreift, um neue Kunstwerke zu schaffen. Sie ermöglichen
überraschende Einsichten in das künstlerische Denken des in Gießen und in Paris lebenden
Künstlers und zugleich besondere Perspektiven auf das Klinikum.
Zunächst führte die Corona bedingte Unterbrechung des Kulturlebens buchstäblich zu einer
Reduktion des Raumes der künstlerischen Arbeit: öffentliche Räume, die eine wesentliche
Inspirationsquelle für Thomas Vinsons Arbeit sind, standen nicht mehr zur Verfügung. Als
Konsequenz daraus zog sich Vinson auf den kleinsten Raum, der einem Künstler zur Verfügung
steht zurück: die Papierfläche. Im intimsten Kleinformat begann er zu zeichnen. Es war der
Auftakt der, auf Karton mit einem Ink-pen gezeichneten, Serie „Melencolia“, die inzwischen
über 90 Zeichnungen umfasst. Einige Exemplare dieser Serie bilden den Auftakt der
Ausstellung und bestimmen den zeithistorischen Moment, aus dem heraus „Verweilen +
Genesen“ entstand. Das Bedürfnis die Sonne „herbeizuzaubern“ verschränkt sich in diesem
Motiv mit Vinsons Begegnung mit den Grafiken Dürers und dessen „Melancolia“, die wie ein
Echo der aktuellen Situation wirkt.
Aus der räumlichen Distanz heraus begann Vinson sich dem „Raum Klinikum“ über Materialen
und Motiven zu nähern. Stoff in Form von Bekleidung und Bettzeug, Bildmotive aus der
medizinischen Diagnostik und Werkzeuge aus dem klinischen Alltag begangen ihn zu
beschäftigen. Das vormals angedachte „ideale Zimmer“ wurde zum Motiv auf Kittel und Hose
der medizinischen Mitarbeiter:innen.
EKG Ableitungen verwandelten sich zu abstrakten Formen.
Die allgegenwärtige Schrift, u.a. auf Informationstafeln, verwandelte sich zur Buchstaben-
Suppe UKGM, oder zur Grundlage einer Gestaltung eines Bettbezugs.
Die Maske wiederrum wurde zum Hallraum, in dem sich die emotionale Schräglage der
Coronazeit mit dem medizinischen Alltag verbindet.
Im medizinischen Werkzeug schließlich fand Vinson ein Motiv, das sein künstlerisches Arbeiten mit
der Kunst des Arztes verbindet. In der Vitrine „Meins/Deins“ fanden medizinisches „Besteck“ in Form
von Laserschnitten und original künstlerisches Werkzeug zusammen. Das Thema des Handwerks als
Basis des Könnens und Gelingens sowohl der künstlerischen Arbeit wie der medizinischen
Behandlung klingt darin an.
Als Motiv auf Arztkitteln wird es zum Anstoß der hochaktuellen Frage, wie sich unser Verhältnis zur
Welt in der Spanne zwischen menschlicher Hand und digital gesteuertem Roboter entwickeln wird.
Die einzige ältere Arbeit der Ausstellung, die gegenüber der Kapelle platziert ist, „Für Gerhard R.“ von
2009, öffnet schließlich die Setzung im Klinikum auf das Oeuvre Vinsons hin. Die Kerze, ursprünglich
als Zitat von Richter aufgenommen, wird im Klinikum in Verbindung mit der Pandemie zum Zitat der
Gedenkkerze der Pandemie Opfer. Sie ruft die emotionale Fülle jedes „Gedenkens“ auf und verbindet
sie mit der Wort-sprach-losigkeit der abstrakten Tafeln, die den „Background“ der Kerze bilden.
Leider ist für das Klinikum der Zutritt noch immer beschränkt und die Ausstellung ist nur für
Patient:innen, Angehörige und Mitarbeiter:innen frei zugänglich. So freuen wir uns umso
mehr, dass es die fallenden Corona-Zahlen erlauben, auch für das Klinikum einen kleinen
Schritt hin zur Öffnung zu gehen:
Wir laden Sie zum Kunst Gespräch am Montag 19.7. 2021 um 19 Uhr ein – Thomas Vinson
wird anwesend sein. Voraussetzung ist eine namentliche Voranmeldung und der Nachweis
genesen, oder 2fach geimpft zu sein, oder ein tagesaktueller Negativ-Test.
Da nur sehr wenige Plätze zur Verfügung stehen, möchte ich Sie schon heute bitten, falls Sie
sich angemeldet haben, eine Zusage haben, aber dennoch nicht kommen können, ihre
Teilnahme abzusagen, so dass wir eine Nachrücker:in ansprechen können.
Zwei weitere Termine zum Kunst Gespräch am 21.9. und 19.10. 2021 sind vorgesehen.
Wir freuen uns auf ein Wiedersehen,
mit besten Grüßen aus dem Uniklinikum
Susanne Ließegang und Renate Seeger-Brinkschmidt
Kunstbeauftragte am UKGM
Vorsitzende Freundeskreis der Kunst im Uniklinikum Gießen e.V.
Bitte melden sie sich mit dem Vermerk: Kunst Gespräche Vinson 21.9. oder 19.10. unter folgender
Emailadresse s.liessegang@t-online.de an.
Sie erhalten eine Teilnahmebestätigung, die Sie bitte für den Zutritt zum Klinikum mitbringen.
• Geimpfte
Die zweite Impfung muss 15 Tage zurückliegen und im Impfpass oder einer entsprechenden der
impfenden Stelle nachgewiesen werden (z. B. in der Corona-Warn-App oder der CovPass-App)
• Genesene
Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben. Erforderlich ist die amtliche
Bescheinigung durch das Gesundheitsamt auf Grundlage eines positiven PCR-Tests, der nicht
älter als sechs Monate ist. Liegt die Infektion länger als sechs Monate zurück, gilt als vollständiger
Impfnachweis die Bescheinigung des Gesundheitsamtes nur in Verbindung mit dem Nachweis
einer einmaligen Corona-Schutzimpfung.
• Getestete
Wer weder vollständig geimpft noch von einer Coronainfektion genesen ist, kann einen Nachweis
eines negativen Corona-Antigen-Schnelltests vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden ist.
Eine Testung vor Ort im Klinikum ist leider nicht möglich. Bitte wenden Sie sich im Vorfeld an die
offiziellen Teststellen. Alle erforderlichen Nachweise sind an der Eingangskontrolle vorzulegen.
Ferner gelten die bekannten Hygienevorschriften: Im gesamten Klinikgebäude gelten für
Besucher:innen durchgängig die Maskenpflicht (medizinische Maske oder FFP-2 Maske), die
Einhaltung der Abstandsregeln – mindestens 1,5 m – und die Hände-Desinfektion am Eingang.
Vielen Dank für Ihr Verständnis!
Thomas Vinson *1970, Paris
seit 2019 Honorarprofessur für Gestaltung,
Technische Hochschule Mittelhessen (THM), Gießen,
Fachbereich Architektur / Bauwesen
2014-2019 Dozent für Plastisches Gestalten und Freies Zeichnen,
Technische Hochschule Mittelhessen (THM), Gießen
Fachbereich Architektur / Bauwesen
2013-2018 Dozent für Bildhauerei
Justus-Liebig-Universität, Gießen
1997-1999 Studium der Bildhauerei Prof. George Smith
Rice University, Houston, USA
1996 Deutsch-Französisches BWL
Staatsexamen, Universität Metz, Frankreich
1994 Juristisches Staatsexamen ‚
Universität Panthéon Sorbonne, Paris, Frankreich
lebt und arbeitet in Gießen und Paris
Leider ist für das Klinikum der Zutritt noch immer beschränkt und die Ausstellung ist nur für
Patient:innen, Angehörige und Mitarbeiter:innen frei zugänglich. So freuen wir uns umso
mehr, dass es die fallenden Corona-Zahlen erlauben, auch für das Klinikum einen kleinen
Schritt hin zur Öffnung zu gehen:
Wir laden Sie zum Kunst Gespräch am Montag 19.7. 2021 um 19 Uhr ein – Thomas Vinson
wird anwesend sein. Voraussetzung ist eine namentliche Voranmeldung und der Nachweis
genesen, oder 2fach geimpft zu sein, oder ein tagesaktueller Negativ-Test.
Da nur sehr wenige Plätze zur Verfügung stehen, möchte ich Sie schon heute bitten, falls Sie
sich angemeldet haben, eine Zusage haben, aber dennoch nicht kommen können, ihre
Teilnahme abzusagen, so dass wir eine Nachrücker:in ansprechen können.
Zwei weitere Termine zum Kunst Gespräch am 21.9. und 19.10. 2021 sind vorgesehen.
Wir freuen uns auf ein Wiedersehen,
mit besten Grüßen aus dem Uniklinikum
Susanne Ließegang und Renate Seeger-Brinkschmidt
Kunstbeauftragte am UKGM
Vorsitzende Freundeskreis der Kunst im Uniklinikum Gießen e.V.
„Lebensfetzen“ gesammelt von Dr. Th. Discher
LebensFetzen
Momente des Dankens in langjährigen Krankheitsverläufen.
„Erst die Kombination von Medikamenten und Therapietreue ermöglicht Heilung.“ Th. Discher
Die Sammlung der LebensFetzen bewahrt Lebensgeschichten, die Dr. Thomas Discher im Laufe seines Berufslebens als Arzt kenngelernt und maßgeblich mitgestaltet hat.
Als Infektiologe des Gießener Uniklinikums hat er über 20 Jahre Patientinnen und Patienten auf ihren langen, oft auch schwierigen Wegen durch ihre Krankheiten und damit auch durch ihr Leben begleitet.
Früh war Discher damit konfrontiert, dass seine Möglichkeiten als Arzt zu helfen und zu heilen grundlegend von der Kooperation der Patent*Innen und der Kooperation zwischen Arzt und Patient abhängig waren. Der soziale Aspekt seiner Arbeit stellte sich im Prozess der Heilung als genauso gewichtig heraus, wie die Möglichkeiten mit Medikamenten gegen die Krankheiten vor zu gehen.
Die in der Sammlung vereinten Objekte spiegeln Formen des Dankens im Fortgang der langjährigen Therapien. Sie sind so vielgestaltig wie die Menschen, die aus aller Welt ins Gießener Klinikum kamen. In jedem Objekt ist eine Geschichte geborgen. Einige wenige Geschichten hat Thomas Discher uns erzählt.
Der überwiegende Teil der Geschichten bleibt aber in den Objekten verborgen. Es ist den Betrachter*Innen überlassen, die Formen menschlicher Beziehungen darin zu entdecken.
Die Ausstellung fokussiert einzelnen Aspekte dieses Dankens, indem sie die Objekte in Gruppen zusammenstellt:
Support
Der Arzt kann helfen, muss die Patienten mit seinem Wissen und seiner sozialen Kompetenz unterstützen und führen. Die Patienten ihrerseits greifen auf stützende Geisteshaltungen zurück: u.a. Religionen, wie sie im Kreuz, Buddha oder Ikone symbolisiert sind; das Erdmännchen, das alles im Blick hat, oder eine PflegerIn, die Zuwendung und Sicherheit bietet.
Symbole der Krankheit
AIDS-Schleife, Pillen und die Malaria Mücke.
Trinkgewohnheiten
Der Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln muss im Rahmen der Therapien geklärt werden. Die Behandlung von Süchten ist neben der eigentlichen Behandlung der Infektionserkrankung ausschlaggebend für den Therapieerfolg. Die Sammlung der Trinkgefäße spiegelt diesen Aspekt.
Retter
Der Arzt wird im Laufe der Therapie zu einem „Lebensretter“ – des nackten Lebens, aber auch der sozialen Lebensfähigkeit. Mit Hochachtung begegnen Patienten, Partner, oft auch Kinder dem Arzt, der in diesen existentiellen Situationen ein Weiterleben ermöglicht hat: u.a. Aristoteles (Hippokrates), Häuptling, Ashanti-Thron, Teppich…
Fürsorge
In einer Reihe von Mutter/Kind Darstellungen symbolisiert sich Fürsorge, die über das Maß einer „Behandlung“ hinausgreift.
Erotische Spannung
Der bewusste Umgang mit Sympathie und Antipathie gehören zum Handwerkszeug des Arztes – in manchen Objekten offenbart sich eine besondere Spannung. Granatapfel, Pferd
Der Mensch Discher
Patient*Innen würdigen ihren Arzt, in dem sie den Menschen Discher hinter dem Arzt Discher erkennen: Fahrradfahrer und seine Begeisterung für Afrika …
Ashanti
Thomas Discher
Unser erstes Treffen im September 2001 hatte die Betriebsärztin arrangiert. Der 36 Jahre alte Kollege aus Kumasi in Ghana. Er hatte wie ich am Nationalfeiertag Togos Geburtstag, was natürlich verbindet, hatte über Jahre für die WHO Buruli-Ulzera herausgeschnitten (Mycobacterium ulcerans). Als Dank erhielt er ein Stipendium zur Facharztausbildung. Dieses war an der JLU geplant und akzeptiert.
Das erste Hindernis war die von der BÄ diagnostizierte Hepatitis B. Es gab noch keine gültigen Empfehlungen zur Prävention der nosokomialen Über-tragung von Hepatitis-B-Virus (HBV) und Hepatitis-C-Virus (HCV) durch im Gesundheitswesen Tätige. Aber wir hatten in unseren Reihen den deutschen HBV-Guru Prof. WH. Gerlich mit seinem in Gießen ansässigen HBV/HDV Nationalen Referenzzentrum. Schnell gab es ein Konzept: Absenkung der Viruslast unter 1000 Kopie/ml durch Lamivudin. Bis dies erfolgt war, sollte der Kollege zu wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Pathologie geparkt werden. Alle waren einverstanden und zufrieden.
Die zweite Hürde war ein bezahlbarer Wohnraum in Kliniknähe für einen des Deutschen nicht mächtigen Schwarzafrikaners. Auch das nahm ich in die Hand. Eine Stunde später hatte er die Zusage für EKB im Musikerviertel für 270,- € und das Rezept für Zeffix (Lamivudin).
Es war 2003, im Hörsaal der Anatomie in Gießen waren die ersten deutschen Empfehlungen zur Prävention der nosokomialen HBV Übertragung beschlossen worden. Die HBV-Viruslast lag bei dem Kollegen aus Ghana unter 100 Kopien/ml, aber er musste weiter in der Pathologie schmoren. Die Übernahme in ein chirurgisches Fach wurde ihm jetzt verwehrt. Aber dafür hatte er sein Stipendium.
Alle guten Dinge sind drei. Also beseitigten wir auch die dritte Hürde. Aufgrund persönlicher Beziehungen mehrerer Akteure bekam er eine Weiterbildungsstelle in einem Lehrkrankenhaus der Uni-Gießen. 3 Jahre später war er Facharzt und wieder 6 Monate später konnte er sein erworbenes Wissen und Können seinen Landsleuten in Ghana zu Verfügung stellen.
Weihnachten 2007 erhielt ich ein Paket aus Kumasi: Der Inhalt mein persönlicher ASHANTI THRON und ein Bild des jüngsten Sohnes des Kollegen, „Kwami Discher“ (der kleine, am Samstag geborene Discher). Ich war gerührt.
Nach der Facharztprüfung hatten wir noch einen Versuch mit add on Interferon-Injektionen zum bereits seit 2005 eingenommenen Tenofovir gestartet, in der Hoffnung einen anhaltenden Erfolg ohne Dauermedikation zu erzielen. Es war zu erwarten, dass Entecavir oder Tenofovir, die neuen robusten Medikamente, in Ghana 2007 nicht zur Verfügung stehen würden. So war es dann auch. Er musste zurück auf Lamivudin und es kam zum erwarteten Therapieversagen.
Im August 2019 erhielt ich seine letzte Mail: Er sei auf dem Weg nach Rom wegen eines sehr großen Hepatozellulären Karzinoms. Meine Antwort-Mail hat er bis heute nicht beantwortet. Sehr traurig
Mit dem Boot sicher durch die Untiefen
Thomas Discher
Freitag Nachmittag 15:00 Uhr, die Pförtnerin piepste mich an und bat mich um Hilfe für ihre verzweifelte, schwangere Schwester, die weinend im Foyer der Klinik wartete.
Schwanger in der 12. Schwangerschaftswoche und verzweifelt, warum?
Erstdiagnose HIV 1 Stunde zuvor.
Unsere erste Begegnung stand unter keinem guten Stern.
Die Verzweiflung war verständlich. Bis 1996 konnten wir das Leben einer AIDS-Patientin durch Medikamente 6 Monate verlängern, und die junge Schwangere hatte AIDS. Jetzt gab es Medikamentenkombinationen mit hoher Pillenzahl, komplexen Einnah-meschemata und vielen Nebenwirkungen mit noch unklarer Langzeiteffektivität.
Bis 1994 betrug das Risiko der HIV-Übertragung von Mutter auf Kind 40%. Durch die Gabe von Retrovir konnte in der Studie ACTG 076 1994 das Risiko auf 8% vermindert werden.
Unsere Schwangere entschied sich mit ihrem HIV negativen Ehemann, der auch der Vater war, für das Kind. Es war ein anstrengender und langer Weg. Die Wochen vor dem Kaiserschnitt verbrachte sie auf Station 15, Seltersberg. Wir konnten alles organisieren. Es hat sich gelohnt: eine bis heute HIV negative Tochter.
Die folgenden Jahre waren geprägt von Zweifeln und Ängsten, Therapiepausen und Therapieversagen. Bei einer Zytomegalie-Virus Entzündung der Netzhaut drohte sie zu erblinden. Häufige Krankenhausaufenthalte waren die Folge. Die kleine Tochter fühlte sich auf St.15 SB fast schon heimisch. Abends, bevor ich die Station verließ, wurde der verletze Teddy oder die Puppe noch schnell behandelt. Der Verband war entscheidend,
aber auch diese Klippe haben wir umschifft.
Es folgten gute Jahre: dank Kaletra/Truvada, dank ihres entspannten Mannes und vor allem dank einer sich prächtig entwickelnden Tochter. Die Patientin ging als Lehrerin wieder gerne arbeiten, war beliebt und anerkannt.
Es wartete die nächste nicht erwartete Untiefe: das Melanom am Unterschenkel.
Nach abgeschlossener Therapie gab es die erste große Reise: 4 Wochen USA. Unsere Patientin brachte mir, ihrem Fels in der Brandung, der ihr dies ermöglicht hatte, als Präsent und Dankeschön das NAVAJO BOOT mit. Das Boot einer Ethnie, die diskriminiert und ausgegrenzt ist.
Der nächsten Sturmflut waren wir nicht gewachsen: den Melanommetastasen. Die metastatische Lymphocele im Unterbauch durfte der „Bootsführer“ noch im ambulanten Setting entlasten. Kapitulieren musste ich bei den Hirnmetastasen. Sie wollte alternativ-los auf die Infektionsstation und schaffte es noch ihrer Tochter zu sagen, dass sie HIV positiv sei, bevor sie einschlief.
Und die Tochter? Ist Krankenschwester und verbindet heute Patienten statt Teddys. Ich bekomme noch immer ein feuchtes Auge, wenn ich sie sehe, einfach toll.
Ein Engel
Thomas Discher
Als ich sie kennenlernte war sie 32 Jahre und ein Zombie unter Haloperidol. Gerichtlich betreut wegen der Psychose. Die Diagnosen waren gestellt worden im Rahmen einer pulmonalen Tuberkulose bei Erstdiagnose HIV/AIDS.
Die Kenianerin wurde sechs Jahre zuvor nach Deutschland überführt. Die 5 Jahre alte Tochter lebte beim Ex-Mann und war ein Teil ihrer Visionen. Meine Aufgabe war jetzt den Zombie, alleinwohnend und betreut, zu motivieren die TB und HIV Medikamente einzunehmen.
Ihre Ziele waren Alkohol, Prostitution und Würfelspiele.
Sie war anfänglich unzuverlässig, aber mit einer adä-quaten, ja guten Betreuung war sie einzufangen und sie wurde therapietreu. Unter der Nachweisgrenze und Cola ohne Bier, war sie keine Gefahr und es ging ihr über 10 Jahre gut.
Die Königin der Bierbörse übergab mir den ENGEL. Ich war platt.
Es war nicht der Alkohol. Es waren Veränderungen im Umfeld. Sie wurde niereninsuffizient, dialysepflichtig und verstarb an den Folgen einer Blutvergiftung. Sie verstarb nicht an AIDS.
Ich vermisse das „Diiiischer“, ich mochte sie gerne.
Zugführer
Thomas Discher
Er kam von der Hautklinik wegen einer nicht therapierbaren Prurigo (schreckliche Juck-Dippel, Wetterau-Deutsch).
Er war 42 Jahre und sonst immer gesund und jetzt HIV positiv (1992).
Erstdiagnose HIV mit niedrigen Helferzellen von 64 CD4/μl und nachweisbarer HIV-Replikation, also zumindest CDC B3 (Vor-AIDS Stadium).
Er lebte in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft (MSM), der Partner auch positiv, mit ebenfalls niedrigen Helferzellen, asymp-tomatisch und skeptisch gegenüber schulmedizinischer Therapie.
Sein Hobby waren Modeleisenbahnen.
Anfangs stand die Haut im Vordergrund, dann die analen Condylome und das Analkarzinom. Er folgte konsequent unseren Empfehlungen zur antiretroviralen Therapie, Chemotherapie, Bestrahlung und der Anlage eines künstlichen Darmausganges (Colostoma). Er kämpfte und versuchte sich mit den neuen Herausforderungen zu arrangieren. Er gründete die deutschlandweite MSM-Stomagruppe, die sich alle 3 Monate zum Stammtisch traf.
Sein Partner erstarrte im Nichtstun und verstarb. Unser Patient brachte mir nach dem Tod die Massen an antiretroviraler Therapie, die sein Freund angehäuft hatte. Er sagte nur ganz beiläufig: Machen Sie Sich keine Vorwürfe, dafür können sie nichts, Zugführer!
2002 überreichte er mir dann zum 10-jährigen Betreuungsjubiläum eine MODELLEISENBAHNLOK
eines seiner besten Stücke.
Der Zug fuhr weiter – leider ohne ihn. Er verstarb auf dem Seltersberg an den Folgen des Analkarzinoms.
Simply the Best
Thomas Discher
28 Jahre, geboren und Hepatitis C infiziert in Duschanbe/Tadschikistan. Er fühlte sich immer schon belastet und ausgegrenzt durch seine chronische Infektion. Er ist auch heute noch unsicher bzgl. Gefährdung von Ehefrau und seinen beiden Söhnen.
Abschalten konnte er auf der Kartbahn, da gab es Anerkennung, da war er der Beste.
Er hatte von der Interferontherapie gehört, auch von den bescheidenen Erfolgen und den vielen Nebenwirkungen. i Er war Postzusteller und hatte Angst, wegen der Nebenwirkungen fahruntauglich zu sein oder aufgrund der Fehlzeiten gar seinen Job zu verlieren.
Lange hatte er überlegt, im September 2007 war er entschlossen: HCV-Genotyp 1 b, ein Jahr Therapie mit einer Erfolgsaussicht auf Heilung von 45%.
Wir starteten. Alles musste passen. Sein Zustellungsbezirk umfasste die Kreise LM, LDK und GI. Freitags schaffte er es bis 15:30 Uhr fertig zu sein. Dann gab es die Blutabnahme, das Gespräch, die Spritze und danach war Feierabend und Wochenende. 48 Wochen hielten „wir“ das durch und das ganz ohne eine einzige Krankmeldung trotz vieler Zipperlein.
6 Monate nach Therapieende konnte ich ihm eröffnen, dass er von der HCV geheilt sei. Jetzt war ich für Ihn der Beste! Zum Dank den SIEGERPOKAL aus seiner Kartkarriere
Rechtzeitig zurück
Thomas Discher
Gregory, 59 Jahre, geboren in Kasachstan und seit 1991 in Deutschland.
Übernahme aus einem peripheren Krankenhaus bei neu diagnostizierter Hepatitis B und hepatozellulären Karzinom. Die Tumorausdehnung ist zu groß, ein kurativer (heilender) Ansatz nicht möglich.
Ich bespreche dies mit dem Patienten und der Familie und lasse auch sie testen auf Hepatitis B.
Die Ehefrau hat eine klinisch ausgeheilte Hepatitis B, der jüngere Sohn ist HBV negativ, der ältere Sohn, Sergej, hat eine aktive Hepatitis B.
Sergej hat aber auch ein Stipendium für 6 Monate in Sidney, Antritt in 4 Wochen. Er will es verfallen lassen.
Mein Rat: Nehmen Sie Entecavir, fahren Sie hin und ich bemühe mich um Ihren Papa!
BUMERANG, es gab noch viele gute Monate
Nicht nur Wein & Pralines !
Hintergründe zu einer speziellen Sammlung
Geboren wurde ich in dem besonderen Weinjahr 1955 im von der Sonne verwöhnten Gengenbach, unter Kennern bekannt als „Badisch Nizza“, als Jüngster von 10 Kindern. Die Sozialisation begann sofort. Teamarbeit war angesagt.
Krankheiten waren für mich schon immer ein Übel. Meine Abneigung wurde verstärkt durch die 2 schweren Schlaganfälle meines Vaters in meinem 5. Lebensjahr. Mit 5 Jahren entschied ich aber auch, dass ich Arzt werden wollte. Warum? Ein Tag nach Weihnachten musste mein Blinddarm raus. Ich lag in einem Zimmer mit einem kleinen Bluter, um den sich alle kümmerten und in unserer Bäckerei war Hochbetrieb. Da kam der Chefarzt, seinen Namen werde ich nie vergessen, setzte sich zu mir ans Bett und wir spielten Lego. Das war´s, so wollte ich werden.
Ein Jahr später folgte die Augenoperation. Ich hatte Angst vor der Äthertropf-Narkose, die ich ja kannte. Alle versprachen, es wird anders, keine Angst. Es wurden wieder schreckliche Sekunden bis zur zähen Neun, dann……… wachte ich auf und war enttäuscht. Das wollte ich später immer vermeiden.
Jetzt ging es in die Schule. Meine Lieblingsfächer waren Rechnen und Heimatkunde. Mein erstes Buch, das ich zu Ende las, war „Die seltsamen Reisen des Marco Polo“, fasziniert war ich von Meyers Kinder-Weltatlas.
Da ich noch immer Medizin studieren wollte, war zu seiner Zeit ein „Humanistisches Gymnasium“ Pflicht. Kein Problem für einen katholischen Ministranten, wir beteten doch ohnehin schon auf Latein.
Im Gymnasium: Ich hatte einfach Glück. Mein Klassenlehrer in den ersten zwei Jahren, 63 Jahre und Homer-Fan. Am Freitag in der letzten Stunde gab es eine Vorlesung aus dem „Trojanischen Krieg“ oder aus den „Abenteuern des Odysseus“. Voraussetzung dafür war eine gute Wochenleis-tung. Über die Welt der Götter und Mythen war der Zugang zur antiken Philosophie und Medizin geebnet. Logischerweise führten mich meine ersten selbständigen Reisen nach dem Abitur auf den Olymp, zu Hippokrates auf Kos und nach Kleinasien. Die unglaubliche Gastfreundschaft, die ich während meiner zwei Monate in der Türkei erleben durfte, hat mich tief beeindruckt. Das Reisen wurde mir ermöglicht durch die bezahlten Jobs im Krankenhaus, damals.
Im Sommersemester 1975 hatte ich das Medizinstudium in Freiburg aufgenommen. Es gab viele neue Impulse und wir durften uns selbst organisieren. Wir, meine heutige Frau und ich, organisierten 1978 für uns eine Auszeit in Südamerika, reisten durch die Anden in die bolivianische Hauptstadt La Paz. Dort, auf 4000 Meter Höhe arbeiteten wir drei Monate im Krankenhaus und waren konfrontiert mit der Tuberkulose und Armut der Indios. In der Frauenklinik war ich wie alle Studenten Geburtshelfer, und das erste Kind, welches ich entbinden durfte, hieß dann auch Tomas.
Tropenkrankheiten erwarteten uns bei der Durchquerung des Amazonas-Urwaldes. Geschütz durch Moskitonetze und die Malariaprophylaxe verlief alles prima. Nur zwei Tage waren wir malad wegen Durchfalls im Dschungel von Bolivien. Wir fühlten uns nie alleine, wurden nie beklaut, waren immer willkommen.
Drei Jahre später, nach Erhalt der Approbation wiederholten wir das Ganze in Südostasien und arbeiten drei Monate im Dschungel-Krankenhaus der Reifen Firma Good Year mitten auf Sumatra. Jetzt waren wir Profis. Ich hatte hippokratische Empfehlungen umgesetzt, wie auf Wanderschaft Erfahrung zu sammeln und die überragende Bedeutung von Anamnese und körperlicher Untersuchung zu erkennen. Gerne hätten wir zwei Jahre später unsere Erfahrungen in Ruanda erweitert, es war zeitlich im Berufsleben nicht machbar. So bleibt mein Traum vom Besteigen des Kilimandscharo wohl unerfüllt.
Mein Berufsleben hatte im Waldhof Elgershausen begonnen, u.a. mit der Lungentuberkulose. Es ereilte mich alsbald der Ruf von Prof. Federlin, dem Leiter der Med. Klinik III der JLU. Er kannte mich von unserer Begegnung in Olympias-Hainen, dem Staatsexamen und meiner Bewerbung. Nach kurzen Ablöseverhandlungen wechselte ich in den Rodthohl, beschäftigte mich mit Rheuma, Zucker und Hormonen. Ich arbeitete wissenschaftlich über Insulin und Folgen des erhöhten Zuckers für Abwehrsysteme und Lunge. Auch spannend.
Noch prickelnder war jedoch die neue Erkrankung AIDS, erstmals beschrieben 1981, im Jahr meiner Approbation. Anfänglich nur festgestellt in Randgruppen wie Homosexuellen oder Drogensüchtigen, machte sie Angst als klar war, dass potentiell jeder sich infizieren konnte durch Blut und Sex, die Übertagung von Mutter auf Kind in 30-50% erfolgte und der Großteil der Infektiösen nicht erkannt werden konnte, da noch nicht krank. Die Infektion mit dem AIDS-Erreger war bis 1996 ein Garantieschein für den Tod im Mittel in den nächsten 10 Jahren.
1984 der erste Fall am UKG im Rodthohl 6, isoliert im Einzelzimmer, wo er auch einsam starb. Die Behandlung der AIDS-Patienten durfte an unserem Klinikum anfänglich nur durch vier ausgewiesene Professoren mit Expertise erfolgen. Als klar war, dass mit der AIDS-Behandlung kein Blumentopf zu gewinnen war, durften auch wir Assistenten ran und 1989 hieß es dann „Discherle“ mach du mal !
Zu diesem Zeitpunkt kannten wir zwar den Erreger HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) und die Krankheitsentwicklung bis hin zum zerstörten Immunsystem. Wir hatten ein erstes Medikament gegen HIV, das wirkt, aber nur begrenzt. Mit unseren Medikamenten erreichten wir eine Lebensverlängerung von ca. 6 Monaten. Ein Teil unserer Gesellschaft hätte die Infizierten am liebsten auf eine Insel verbannt und Sex von Infizierten verboten. Frau Rita Süssmuth, unsere Gesundheitsministerin entschied sich jedoch für Aufklärung und dies mit großem Erfolg.
Fürsorge- und Schweigepflicht, ärztliches Handeln war jetzt gefragt, rein medizinisch hatten wir wenig im Angebot. Es konnte nur funktionieren mit guter Vernetzung, Teamarbeit und hohem Engagement auch außerhalb der Klinik. Es war eine erfüllende Tätigkeit, hat mir gut gefallen und meine Familie zog mit. 1995 entstand dann die Infektionsstation auf dem Seltersberg, jetzt der Med. Klinik II zugeordnet. Es war die erste Palliativstation in Mittelhessen, es war alles etwas anders: Umgang, Kommunikation und Supervision.
Ich war zurückgeblieben im Rodthohl als Oberarzt der Privatstation mit einer infektiologischen Sprechstunde. Jetzt musste ich mich entscheiden. Wissenschaftler, Mediziner oder Arzt, alles ging nicht. Eigentlich mochte ich alle Bereiche. Labor, Vorträge und Kongresse, Punktionen, Schläuche und Katheter, aber auch gut zuhören, hinterfragen, knobeln und helfen, am besten heilen. Mein Bauch sagte Arzt und meine Frau „für einen Bäckersohn hast du genug erreicht“ und so wechselte ich 1998 auf den Seltersberg und das war gut so.
In den vergangenen 39 Jahren hat die Medizin enorme Fortschritte gemacht, insbesondere der Zweig, der sich mit Erregern und deren Abwehr beschäftigt, angestoßen durch die HIV-Pandemie. Bakterien oder Parasiten konnten wir auch 1981 schon nachweisen, nicht auf dem Niveau von heute. Der Virusnachweis in der Kultur war im klinischen Alltag ungeeignet und nicht alle Viren waren an zu züchten. Ein Beispiel: Das Hepatitis C Virus wurde erst 1989 identifiziert. Die Krankheit, die es vermutlich auslöste, war die „Non-A-Non-B Hepatitis“ vermutet seit 1974.
Ein bedeutender Durchbruch war die Sequenzierung und Quantifizierung der Erreger sowohl für die Diagnose wie auch für die Therapie. Die Folgen unter anderem ….
· HIV positiv, aber mit weniger als 50 Kopien/ml Blut (wird in der Regel durch Dauermedikation erreicht) gilt als nicht infektiös, darf alles machen nur kein Blut oder Organe spenden. Die Mutter Kind Übertragung ist vermeidbar.
· Hepatitis B, aber mit weniger als 10³ Kopien/ml Blut gilt als nicht infektiös. Möglich ist dies spontan oder durch Medikamente. Die Mutter Kind Übertragung ist vermeidbar. Blutspende nein, Organspende unter besonderen Voraussetzungen.
· Hepatitis C ist seit 2014 in mehr als 99% innerhalb von 8-16 Wochen Therapie heilbar. Blutspende nein, Organspende (ja)
· Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Tripper und Co.: Direktnachweis möglich, rasche Therapie, Eindämmung der Ausbreitung
· Tuberkulose (Wachstum in der Kultur bis 8 Wochen): Alles geht schneller die Diagnose, die Typisierung und der Nachweis der Empfindlichkeit.
· Malaria: der Nachweis ist empfindlicher als das menschliche Auge, die Typisierung und die individuelle Therapie möglich
· Krankenhauskeime: die Sequenzierung ermöglicht die Erkennung von Resistenzgenen und die Entwicklung neuer Antibiotika
· Sars-CoV-2: schneller Nachweis, Pandemiemanagement, Medikamentenentwicklung und Impfung.
Vieles hat sich geändert, die Patienten, die Herausforderungen und die Therapiemöglichkeiten. Wir Infektiologen sind wie Erreger, wir passen uns an. Ärztliches Handeln wird unverändert von uns erwartet, aber auch das hat seinen Preis.
Thomas Discher