Buchübergabe „Kunst im Klinikum“ ein Forschungsprojekt
Die Zeit des Lockdowns konnte Susanne Ließegang, die Kunstbeauftrage des Uniklinikums Gießen, dank eines Projektstipendiums der Hessischen Kulturstiftung nutzen, um eine Dokumentation/Reflexion der Kunst im Klinikum zu verfassen.
Das in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler Nikolaus Koliusis entstandene Buch „Was macht die Kunst im Klinikum, Forschungsbericht 2021“ wurde mit einem kleinen Festakt am 22.9.2021 an den Ärztlichen Geschäftsführer des Uniklinikums Prof. Dr. Werner Seeger übergeben.
Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, Tarek Assam, Leiter der Tanzcompagnie Gießen und Kooperationspartner der Kunst im Uniklinikum, Renate Seeger-Brinkschmidt, Vorsitzende des Freundeskreises der Kunst im Uniklinikum Gießen e.V. überbrachten Glückwünsche und Grußworte.
Renate Seeger-Brinkschmidt
Als etwas ganz Kleines begann alles: ab 2003 habe ich in der alten Medizinischen Klinik in den Fluren der Med. II Kunst ausgestellt. (…) 2011 fand der Umzug in das neue Klinikum statt und Susanne sagte, wir müssen uns jetzt ein tragfähiges, gut durchdachtes Konzept überlegen, wir können nicht so weiter machen wie bisher mit Kleinklein. (…)
2014 bekamen wir nach einigen Kämpfen mit der Geschäftsleitung (…) in dem Sinne Unterstützung, dass für Susanne eine Projektstelle als Kunstbeauftragte eingerichtet wurde. Sie hat als wichtiges Argument u.a. gesagt „Kunst braucht Leute, die sich darum kümmern. Kunst braucht Kümmerer.“
Ich bedanke mich sehr, nicht nur für diese Unterstützung bei der Geschäftsleitung.
2016 haben wir den Freundeskreis der Kunst im Uniklinikum Gießen e.V. gegründet,
(…) gegenwärtig zählen wir 17 Mitglieder, also wieder etwas ganz Kleines – der Freundeskreis braucht Zuwachs. Wie sagst du Susanne: „Es geht um mehr als Bildchen an die Wand zu hängen!“
Herzlichen Glückwunsch Niko, Susanne zu dieser tollen Buch-Arbeit.
Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung
Text anlässlich der Präsentation des Buches „Kunst im Klinikum Gießen“
„Kunst sollte, ja musste wieder zurück in der Mitte der Gesellschaft verortet werden, im direkten Bezug zu den Menschen – nicht nur in Institutionen wie Museen und Galerien mit Hemmschwellen für Menschen, die mit Kunst nie zuvor in Berührung gekommen waren (auch aus bildungspolitischer Sicht ist das Krankenhaus daher ein guter Ort). (…)
Kunst ist eine Form der Kommunikation, die uns alle erreichen kann.
Kunst und Kreativität, ob bildnerisches Schaffen, Musik oder eine Schreibwerkstatt, sind auch Ressourcen und vielleicht die besten – vielmehr die eigentlichen, die wir überhaupt haben. Ihre Wirkweise wird in unserer rationalen, von Effizienz dominierten Welt sicherlich auch evaluiert, aber man wird ihre Wirkung nie in Gänze, in ihrer vollen Tragweite und Langzeitwirkung erfassen können.
Aber, wie Joseph Beuys anhand seines Bedeutungskontextes Eurasien formuliert: Es gibt die westliche Welt der Rationalen, des Beweises, der Logik und die östliche Welt des Intuitiven und des Fühlens.
Daher möchte ich Sie, die Sie sich aktiv um die Kunst am Klinikum Gießen kümmern, heute in Ihrer Arbeit und in Ihrem Glauben und Ihrem Vertrauen bestärken, Ihre wertvolle Arbeit fortzuführen und, im Beuys’schen Sinne, der sich beständig verändernden Klinikgemeinschaft hier ein bisschen Eurasien zu schaffen, das Beste aus beiden Welten.
Seien Sie vor allem durch die Kunst und die Künstler*innen in Ihrem Klinikum daran erinnert, dass unsere Arbeit als Mediziner*innen, als Kulturschaffende und Künstler*innen in einem sehr viel größeren Kontext unserer Gesellschaft steht.
Dazu hier ein Zitat von Susanne Pfeffer aus ihrer Ausstellung crip time:
„…. Zugänglichkeit ist die Grundlage von Teilhabe und Gerechtigkeit. Krankheit ist keine individuelle Angelegenheit, sondern eine kollektive gesellschaftliche. Gesundheit nicht nur ein medizinisches Terrain, sondern auch ein politisches, das von sozialen Machtverhältnissen bestimmt wird. Individuelle Autonomie ist ein Mythos. Unsere gegenseitige Abhängigkeit anzuerkennen, ermöglicht uns hingegen, zu einem neuen Denken von Gesellschaft zu gelangen. Anstelle einer ständigen Verfügbarkeit geht die Idee von multiplen Bedürfnissen aus. Veränderte Zeitlichkeiten können entstehen, neue Formen der Fürsorge und Verbundenheit entwickelt und ein anderes Denken und Wahrnehmen eröffnet werden…“ (Zitat aus den Veröffentlichungen zur Ausstellung crip time im MMK, Frankfurt/M. bis 30. Januar 2022).
© Eva Claudia Scholtz für Hessische Kulturstiftung, 2021
Dr. Susanne Ließegang, Kuratorin, Autorin, Kunstbeauftragte am Universitätskliniken Gießen
Ganz im Grundsatz wir alle sind hier, weil eine/r wusste, Kunst gehört dazu. Und wir alle sind auf dem Weg zu Fragen, wie gehört Kunst an diesem besonderen Ort Klinikum dazu. (…)
Das Wichtigste ist die Unterbrechung des Alltags durch Kunst, oder anders mit den Worten eines Klinikleiters formulierte: dass Patient:innen und Mitarbeitende auf andere Gedanken kommen.
Jedes Werk an der Wand sollte in der Sekunde des Vorbeigehens „Hallo“ sagen. (…)
Das Buch entfaltet unterschiedliche Möglichkeiten des Hallo-sagens, stellt unterschiedliche Konstellation vor, wie die Unterbrechung gelingen kann.
Um diese Möglichkeiten des Unterbrechens zu reflektieren, habe ich mir den Künstler Nikolaus Koliusis mit ins Boot geholt. Er bewegt sich schon seit vielen Jahren im öffentlichen Raum, immer mit der Frage: was ist an diesem speziellen Ort notwendig, um die andere Frage stellen zu können? Was muss passieren, damit das andere Raum bekommt? An einem Gedenkort, einem Krankenhaus, einer Konzerthalle?“ – in einem Buch. (…)
Zur grundlegenden Setzung wurde, jede einzelne Doppelseite so zu gestalten, dass dieses Buch an jeder beliebigen Stelle aufgeschlagen werden kann – und Hallo sagt. (…)
Letztlich ist das entstandene Buch selbst auch eine Antwort auf die Frage, wieso wir die Kunst und die Künstler:innen im Klinikum brauchen: weil sie im Grundsatz eine andere Form des Denkens haben.
© Susanne Ließegang, 2021
Prof. Dr. Werner Seeger, Ärztlicher Geschäftsführer Universitätskliniken Gießen
Bei all dem Alltäglichen: uns fehlt dieses und wir müssen hier vorankommen und da vorankommen.
Nein, auch für die Kunst einen Augenblick der Aufmerksamkeit zu haben und zu sagen, ja das ist ein anderes Moment und dieses andere Moment ist dann ein Moment des Hineingenommen-Werdens in eine andere Welt. Das ist etwas ganz Wichtiges! Es gibt mehr als die technischen Abläufe der Klinik! Es gibt mehr als die Dimension des Krankseins, der medizinischen Prozeduren! Es gibt eine ganz andere Dimension der Menschlichkeit, die gerade mit der Kunst, in diesem ganz schnell Hineingenommen-werden in einen anderen Blick und eine andere Welt, … (…)
Und dann steht da „Genauigkeit und Seele“… Genauigkeit Seele; Seele Genauigkeit… nur mal so eien Seite als Beispiel…
und plötzlich der Begriff Seele … und sofort ist so ein Bild da, ja Genauigkeit als ärztlicher Beruf, aber auch Seele! Seele mehr präsent sein zu lassen als die technischen Abläufe. Diese andere Welt, die so wichtig ist, für Persönlichkeitsstrukturen, für Angenommen-sein, für Es- zu- ertragen in einer technischen Klinikwelt zu sein, mit all den Ängsten. Alles das, was dafür so wichtig ist mit der Kunst, auch symbolhaft im Kapellen-Gang, aber auch an den viele anderen Stellen, sein zu lassen. (…)
Ich habe mich überzeugen lassen, dass das ganz wichtig ist,
ich habe es schätzen gelernt über all die Zeit.
Es hat dieses Klinikum mitgeprägt in einem ganz besonderen Aspekt, und dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten ganz herzlich bedanken.
© Werner Seeger, 2021
Tarek Assam, Leiter der Tanzcompagnie Gießen und des TanzArt ostwest Festivals
Herzlichen Glückwunsch zu diesem großartigen Buch.
Vielen Dank für die erfolgreiche Zusammenarbeit.
Die Tänzer freuen sich ungemein, wenn sie so ungewöhnliche Orte bespielen dürfen, ihre lebendige Kunst in ihre Räume tragen zu können. Herzlichen Dank dafür. (…)
Wir kooperieren: Wir kommen mit den Tänzer:Innen und Choreograph:Innen hierher und Sie machen mit einer Pflasterspende uns zum TanzArt ostwest Festival eine Freude: (…) Sie glauben gar nicht, wie es sich in den letzten Jahren unter den Tänzer:Innen herum gesprochen hat, dass man in Gießen ein Päckchen Pflaster bekommt. Die Tänzer nehmen das mit großer Freude an (…) © Tarek Assam